BetrVG § 76 - Einigungsstelle
Betriebsverfassungsgesetz - Einigungsstelle - § 76 BetrVG
§ 76 BetrVG - Einigungsstelle
(1) Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen
Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat ist bei
Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden. Durch Betriebsvereinbarung kann eine
ständige Einigungsstelle errichtet werden.
(2) Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen
Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden,
und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten
einigen müssen. Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht
zustande, so bestellt ihn das Arbeitsgericht. Dieses entscheidet auch, wenn
kein Einverständnis über die Zahl der Beisitzer erzielt wird.
(3) Die Einigungsstelle fasst ihre Beschlüsse nach
mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit. Bei der Beschlussfassung hat sich
der Vorsitzende zunächst der Stimme zu enthalten; kommt eine Stimmenmehrheit
nicht zustande, so nimmt der Vorsitzende nach weiterer Beratung an der
erneuten Beschlussfassung teil. Die Beschlüsse der Einigungsstelle sind
schriftlich niederzulegen, vom Vorsitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber
und Betriebsrat zuzuleiten.
(4) Durch Betriebsvereinbarung können weitere
Einzelheiten des Verfahrens vor der Einigungsstelle geregelt werden.
(5) In den Fällen, in denen der Spruch der
Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt,
wird die Einigungsstelle auf Antrag einer Seite tätig. Benennt eine Seite
keine Mitglieder oder bleiben die von einer Seite genannten Mitglieder trotz
rechtzeitiger Einladung der Sitzung fern, so entscheiden der Vorsitzende und
die erschienenen Mitglieder nach Maßgabe des Absatzes 3 allein. Die
Einigungsstelle fasst ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der
Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen.
Die Überschreitung der Grenzen des Ermessens kann durch den Arbeitgeber oder
den Betriebsrat nur binnen einer Frist von zwei Wochen, vom Tage der
Zuleitung des Beschlusses an gerechnet, beim Arbeitsgericht geltend gemacht
werden.
(6) Im übrigen wird die Einigungsstelle nur tätig,
wenn beide Seiten es beantragen oder mit ihrem Tätigwerden einverstanden
sind. In diesen Fällen ersetzt ihr Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber
und Betriebsrat nur, wenn beide Seiten sich dem Spruch im voraus unterworfen
oder ihn nachträglich angenommen haben.
(7) Soweit nach anderen Vorschriften der Rechtsweg
gegeben ist, wird er durch den Spruch der Einigungsstelle nicht
ausgeschlossen.
(8) Durch Tarifvertrag kann bestimmt werden, dass an
die Stelle der in Absatz 1 bezeichneten Einigungsstelle eine tarifliche
Schlichtungsstelle tritt.
§ 76a BetrVG - Kosten der Einigungsstelle
(1) Die Kosten der Einigungsstelle trägt der Arbeitgeber.
(2) Die Beisitzer der Einigungsstelle, die dem Betrieb
angehören, erhalten für ihre Tätigkeit keine Vergütung; § 37 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. Ist die Einigungsstelle zur
Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat
oder Konzernbetriebsrat zu bilden, so gilt Satz 1 für die einem Betrieb des
Unternehmens oder eines Konzernunternehmens angehörenden Beisitzer entsprechend.
(3) Der Vorsitzende und die Beisitzer der Einigungsstelle,
die nicht zu den in Absatz 2 genannten Personen zählen, haben gegenüber dem
Arbeitgeber Anspruch auf Vergütung ihrer Tätigkeit. Die Höhe der Vergütung
richtet sich nach den Grundsätzen des Absatzes 4 Satz 3 bis 5.
(4) Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann
durch Rechtsverordnung die Vergütung nach Absatz 3 regeln. In der Vergütungsordnung
sind Höchstsätze festzusetzen. Dabei sind insbesondere der erforderliche Zeitaufwand,
die Schwierigkeit der Streitigkeit sowie ein Verdienstausfall zu berücksichtigen. Die
Vergütung der Beisitzer ist niedriger zu bemessen als die des Vorsitzenden. Bei der
Festsetzung der Höchstsätze ist den berechtigten Interessen der Mitglieder der
Einigungsstelle und des Arbeitgebers Rechnung zu tragen.
(5) Von Absatz 3 und einer Vergütungsordnung nach Absatz 4
kann durch Tarifvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung, wenn ein Tarifvertrag
dies zulässt oder eine tarifliche Regelung nicht besteht, abgewichen werden.
Anmerkungen (aus der Rechtsprechung):
Konfliktaustragung per Einigungsstelle
Die Einigungsstelle ist weder ein Gericht noch eine Verwaltungsbehörde, sondern
ein fallweise eigens zusammengesetztes Organ der Betriebsverfassung, das von
Arbeitgeber und Betriebsrat (bzw. entsprechend der Zuständigkeit vom GBR oder KBR)
gemeinsam gebildet wird, insbesondere wenn mitbestimmungspflichtige Angelegenheiten
auf dem vorgeschriebenen Verhandlungsweg nicht einvernehmlich geregelt werden können.
Da gem. § 74 BetrVG Arbeitskämpfe
zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht gestattet sind, hat der Gesetzgeber das der
Betriebsverfassung zugrunde liegende Modell der Konfliktaustragung institutionalisiert.
Erzwingbares Einigungsrecht
Die Einigungsstelle ist von Arbeitgeber- oder Betriebsratsseite erzwingbar,
wenn sich eine der beiden Seiten den Verhandlungen entzieht, die Verhandlungen
zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten erfolglos geführt
wurden oder trotz Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten die zwischen ihnen
bestehenden Streitigkeiten nicht beigelegt werden können. Ob die Verhandlungen
zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als gescheitert zu betrachten sind, steht
grundsätzlich im Ermessen der beteiligten Betriebsparteien. Die Einigungsstelle
hat eine verbindliche Schlichtungsfunktion und übernimmt im Konfliktfall
ersatzweise die Aufgaben der beiden Betriebsparteien gemäß § 74 BetrVG. Die Einigungsstelle ist in ihren Entscheidungen
autark. Allerdings ist sie verpflichtet, bei ihren Entscheidungen die ihr im Gesetz
gezogenen Grenzen, die allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätze oder
sonstiges zwingendes Gesetzesrecht zu beachten. Wegen dieser Schlichtungsfunktion,
die dem Direktions- und Alleinentscheidungsrecht des Arbeitgebers übergeordnet ist,
kommt der Einigungsstelle im Rahmen der Betriebsverfassung eine zentrale Bedeutung
zu.
Die Einigungsstelle - Schlichtung bei Bedarf
Die Einigungsstelle ist als Ausnahme zur Konfliktlösung der Betriebsparteien
gedacht. Eine Einigungsstelle muss i.d.R. von Arbeitgeber- oder Betriebsratsseite
"bei Bedarf" angerufen werden. Sie wird nur zur Beilegung eines konkreten Streitfalls
angerufen. Ob die Einigungsstelle im konkreten Einzelfall zuständig ist, entscheidet
die Einigungsstelle selbst. Die Einigungsstelle ist im Regelfall von Fall zu Fall
neu zu errichten. Der durch den Inhalt des Antrags vorgegebene Regelungsgegenstand
kann durch die Einigungsstelle nicht erweitert werden, es sei denn, die Betriebsparteien
bzw. deren Vertreter in der Einigungsstelle einigen sich im Rahmen ihrer Vertretungsmacht
auf eine entsprechende Erweiterung. Ist die Aufgabe der Einigungsstelle erfüllt, hört
sie auf zu bestehen. Dei Einigungsstelle ist nicht zuständig für Streitigkeiten zwischen
dem Arbeitgeber und Arbeitnehmern oder Dritten, ebenso nicht für Streitigkeiten zwischen
dem Betriebsrat und Arbeitnehmern und auch nicht für Streitigkeiten unter BR-Mitgliedern
oder Arbeitnehmern.
Die personelle Zusammensetzung der Einigungsstelle
Laut Gesetz hat die Einigungsstelle immer aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern
und einem unparteiischen Vorsitzenden zu bestehen. Der Vorsitzende der Einigungsstelle
muss zwischen beiden Betriebsparteien einvernehmlich namentlich festgelegt werden.
Ist dies nicht möglich, entscheidet das örtlich zuständige Arbeitsgericht auf Antrag
einer Seite. Ferner ist auch die Anzahl der Beisitzer zwischen beiden Betriebsparteien
einvernehmlich zu regeln bzw. durch das örtlich zuständige Arbeitsgericht festzulegen.
Wer als Beisitzer der Einigungsstelle bestellt wird, bestimmen die Beteiligten jeweils
allein und eigenverantwortlich (der Arbeitgeber benennt seine Beisitzer, die Benennung
der vom Betriebsrat zu bestellenden Beisitzer erfolgt durch BR-Beschluss). Der
Vorsitzende - häufig ein Arbeitsrichter, dies ist allerdings nicht Voraussetzung -
und die Beisitzer, sollten unter fachlichen Gesichtspunkten am Inhalt und an
der Bedeutung der jeweiligen Streitigkeiten ausgewählt werden.
Rollenverteilung in der Einigungsstelle
Über die an die Person des Vorsitzenden zu stellenden Anforderungen bestimmt
das Gesetz lediglich, dass dieser »unparteiisch« sein muss. Die Funktion des
Vorsitzenden unterscheidet sich damit deutlich von derjenigen der Beisitzer.
Die Beisitzer sind zwar an Aufträge oder Weisungen der Betriebsparteien nicht
gebunden, sie üben ihre Tätigkeit jedoch - als vom Arbeitgeber oder Betriebsrat
jeweils autonom bestellte Mitglieder der Einigungsstelle - praktisch als deren
Interessenvertreter aus. Auch die Beisitzer müssen nicht Angehörige des Betriebs
sein.
In der Ausübung ihrer Funktion dürfen die Mitglieder der Einigungsstelle nicht
gestört oder behindert und wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt
werden. Das gilt auch im Hinblick auf die berufliche Entwicklung betrieblicher
Beisitzer.
Verfahrensablauf
Der Vorsitzende hat unverzüglich nach seiner Bestellung die Einladung zur Sitzung
der Einigungsstelle zu besorgen und ihre Konstituierung durchzuführen. Der Vorsitzende
leitet die Sitzung, erteilt das Wort und trifft auch die darüber hinaus erforderlichen
Maßnahmen zur Durchführung des Verfahrens. Werden zum Ablauf der Verhandlung und der
Ausgestaltung des Verfahrens von den Beisitzern Gegenvorstellungen erhoben, entscheidet
der Vorsitzende allerdings nicht allein, sondern die Einigungsstelle gemeinsam.
Nehmen trotz rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Ladung nicht alle Beisitzer an
einer Einigungsstellensitzung teil, so entscheiden die anwesenden Beisitzer und
der Vorsitzende allein. Dem Zweck des Verfahrens entsprechend sind alle Möglichkeiten
einer freiwilligen Einigung der Betriebsparteien vor der Einigungsstelle bzw. eines
einstimmigen Beschlusses der Einigungsstelle auszuschöpfen.
Kosten der Einigungsstelle
Der Arbeitgeber hat gem. § 40 BetrVG alle Kosten zu tragen, die bei der
pflichtgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben des Betriebsrats und der übrigen
Betriebsverfassungsorgane nach dem BetrVG entstehen. Zu den Kosten der
Einigungsstelle, die gem. § 76a BetrVG ausdrücklich vom Arbeitgeber zu tragen
sind, zählen neben den Kosten für den Vorsitzenden der Einigungsstelle und neben
den Kosten für die Beisitzer der Einigungsstelle, wenn sie dem Betrieb nicht
angehören, auch die Kosten für einen Sachverständigen, den die Einigungsstelle
in ihrem Verfahren hinzuzieht. Solche Sachverständigenkosten sind als Kosten
der Einigungsstelle nur dann vom Arbeitgeber zu tragen, wenn die Hinzuziehung
erforderlich ist und die damit verbundenen Kosten verhältnismäßig sind. Für
die Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gelten
dieselben Maßstäbe wie für die Erforderlichkeit der Kosten des Betriebsrats
i. S. des § 40 Abs. 1 BetrVG.